Eisenstadt Hauptstraße

Eisenstadt – Klein, aber oho!

Von Reinhard Mandl*
Auf der Fahrt von Wulkaprodersdorf nach Eisenstadt sehe ich Schloss Esterházy aus der Ferne: Leicht erhöht thront es an den Ausläufern des Leithagebirges – ausgerechnet die burgenländische Landeshauptstadt liegt am Fuße eines Gebirges! Eisenstadt bezeichnet sich selbst als die „kleinste Großstadt der Welt“ und gemessen an der niedrigen Einwohnerzahl hat das Städtchen vor allem kulturell viel zu bieten: Kalvarienberg und jüdischer Friedhof stehen auf meiner Besichtigungsliste ganz oben.

Die „kleinste Großstadt der Welt“

Der Regionalexpresszug nach Deutschkreutz ist in knalligem Grün und Gelb lackiert und neben den Eingangstüren prangt das Logo der GySEV/Raaberbahn. Das Kürzel GySEV steht für Györ-Sopron-Ebenfurti-Vasút oder auf Deutsch: Raab-Oedenburg-Ebenfurther Eisenbahn, kurz ROeEE.

Wir fahren durchs landschaftlich attraktive Wiener Becken und bald erreichen wir Ebenfurth an der Leitha. Von nun an fährt der Zug auf dem Streckennetz der Raaberbahn weiter. Ebenfurth liegt heute an der Grenze zwischen Niederösterreich und dem Burgenland, bis vor gut 100 Jahren verlief hier allerdings noch die Staatsgrenze zu Ungarn. Zur Zeit ihrer Inbetriebnahme im Jahr 1879 lag die Raaberbahn fast zur Gänze auf ungarischem Territorium. Ebenfurth, die Endstation dieser Bahnlinie, war bis 1921 der erste Bahnhof auf österreichischer Seite.
Eigentlich könnte ich bereits in Müllendorf aussteigen und auf direktem Weg nach Eisenstadt wandern. Die Ortschaft am Südhang des Leithagebirges liegt in einer reizvollen Gegend. Per Bahn geht es natürlich schneller, doch die Fahrt ist mit einem Umweg verbunden, denn die Raaberbahnstrecke führt an Eisenstadt vorbei. In Wulkaprodersdorf verlasse ich den REX 6 und steige um in den REX 64. Nun bin ich auf der Pannoniabahn unterwegs, die in einem Respektabstand zum Neusiedler See hinauf nach Parndorf, zur Ostbahn, führt. Meine Fahrt endet aber bereits nach knapp sieben Kilometern in Eisenstadt. Der Bahnhof liegt außerhalb des Stadtzentrums und lässt sich seine bewegte Geschichte kaum anmerken. Im Jahr 1956, nach der Niederschlagung des ungarischen Volksaufstandes, kamen mehr als 100 000 Flüchtlinge hier durch. Eisenstadt war damals Ausgangspunkt für direkte Bahntransporte nach England, Belgien und andere Staaten.

Direkt beim Bahnhof warten kleine Citybusse, die keine Nummern haben, sondern Namen. Ich fahre mit dem „Vitus“ bis Schloss Esterházy, dem Wahrzeichen der Stadt. Mit dem Erwerb der Herrschaft durch Ladislaus Esterházy im Jahr 1648 wurde Eisenstadt zur Freistadt erhoben. Aus dieser Zeit stammt auch das bürgerliche Gegenstück zum Schloss, das prachtvolle Rathaus, dessen Fassade ein auffälliges Freskenband ziert. Es steht an der Hauptstraße, die heute als Fußgängerzone fungiert. Bereits am Vormittag sind die Gastgärten an dieser beliebten Flaniermeile gut besucht. Bei Kaffee und Kuchen lege ich mir ein Besichtigungsprogramm zurecht. Die wichtigsten Attraktionen liegen nahe genug beisammen, um sie entlang des Haydn-Pfades zu Fuß zu erkunden.

Mein erster Weg führt ins ehemalige jüdische Viertel, wo sich heute das Landesmuseum Burgenland befindet. Dieses Universalmuseum verwahrt Tausende Artefakte aus über 10 000 Jahren Menschheitsgeschichte eines Landstrichs, der erst vor Kurzem seine 100-jährige Zugehörigkeit zu Österreich gefeiert hat. Der Häuserblock, in dem es untergebracht ist, gehörte bis 1939 jüdischen Eigentümern.
Vorbei am Österreichischen Jüdischen Museum in der Unterbergstraße gehe ich hinauf zum Kalvarienberg, der auf den ersten Blick wie eine Kirche mit einem auffällig geschwungenen Dach aussieht. Doch dieser Eindruck täuscht, denn die Kirche versteckt sich hinter diesem künstlich aus Steinen errichteten Berg mit seinen überdachten Treppen und Gängen. Sie führen an kleinen Kapellen und Grotten vorbei, in denen die Leidensgeschichte Christi dargestellt wird. An die Rückseite des Kalvarienberges wurde später die Bergkirche angebaut, die auch Kalvarienbergkirche heißt. Sie hat auch noch einen dritten Namen: Haydnkirche. Denn schließlich werden hier die sterblichen Überreste des berühmten Komponisten Joseph Haydn aufbewahrt, der fast 30 Jahre lang Kapellmeister bei den Esterházys war. Seine Wirkungsstätte hatte er vor allem im nahegelegenen Schloss.

Zur Mittagszeit führt mein Weg hinauf zur Gloriette, doch bevor ich im Gastgarten des Restaurants Platz nehme, gehe ich noch ein Stück durch den Föhrenwald bis zur Jubiläumswarte auf der Parapluie-Wiese. Schon durchs Zugfenster sah ich den hölzernen Turm, der mir Ausblicke bis zum Neusiedler See ermöglicht.
Über die Glorietteallee geht es zurück in die Stadt. Beim Portier des Krankenhauses hole ich einen Schlüssel, der mir Zutritt zum älteren der beiden jüdischen Friedhöfe ermöglicht. Ich suche nach dem Grabstein von Hirz Kamen, der am 23. Tammus 5439 verstorben ist. In unserer Zeitrechnung ist das der 3. Juli 1679 gewesen, lese ich auf der Informationstafel, die diesen Grabstein als den Ältesten ausweist. Jeder einzelne der über 1000 Steine ist mit kleinen Standortnummern versehen und daher leicht zu identifizieren.

Langsam muss ich an die Rückfahrt denken, doch zuvor möchte ich noch das Wohnhaus von Joseph Haydn sehen. Es befindet sich in der nach ihm benannten Gasse, in der noch weitere Häuser mit Barockfassaden stehen. Leider stören viel zu viele Autos die Atmosphäre dieser schmalen Gasse und machen es schwer, sich in jene Zeit zurückzuversetzen, als der fürstliche Kapellmeister hier wandelte.

Mit dem Citybus „Fanny“ fahre ich zurück zum Bahnhof, von wo im Stundentakt Züge direkt zum Wiener Hauptbahnhof abfahren. Bis Parndorf bin ich wieder auf der Pannoniabahnlinie unterwegs, die zwischen Leithagebirge und Neusiedler See verläuft: vorbei an den bekannten Weinbauorten Donnerskirchen, Purbach, Breitenbrunn und Jois. Auf der rechten Fensterseite sehe ich einen ausgedehnten Schilfgürtel, der den Steppensee dahinter, der leider immer mehr austrocknet, großteils nur erahnen lässt. Die Schienen verlaufen in gehörigem Abstand zur Bundesstraße B 50 und ich habe das Gefühl, mitten durch die exotische pannonische Landschaft zu schweben. In ein paar Wochen blühen hier die Kirschen – vielleicht komme ich dann wieder. So geht es mir immer wieder: Kaum neigt sich ein Ausflug dem Ende zu, drängt sich bereits das nächste Ziel auf!

Mein Fahrplan am 21.3.2022:
Wien Hbf. ab 09:23, Eisenstadt Bf. an 10:26 (über Wulkaprodersdorf) Retour: Eisenstadt Bf. ab 17:27, Wien Hbf. an 18:43 (über Parndorf)
CO2-Emissions-Ersparnis gegenüber einer Fahrt im eigenen PKW: 20,40 kg

* Dieser Text ist eine vom Autor gekürzte Fassung von Kapitel 6 seines Buches Österreich mit dem Klimaticket entdecken – 20 Ausflüge mit Bus und Bahn.