Schnell nach St. Pölten
Von Reinhard Mandl*
Vom Wiener Hauptbahnhof dauert die Fahrt in die niederösterreichische Landeshauptstadt auf der neuen Weststrecke weniger als eine halbe Stunde. Direkt beim Hauptbahnhof St. Pölten beginnt die Fußgängerzone, die mich schnurstracks in die barocke Altstadt führt. Und vom Rathausplatz zum Kulturbezirk im neuen Landhausviertel ist es ebenfalls nur ein Katzensprung.
Eine Stadt zwischen Barock, Jugendstil und Moderne
Ausgangspunkt
St. Pölten Hauptbahnhof
Anfahrt
Von Wien Hauptbahnhof:
60 Minuten mit dem RJ/RJX
Von Wien Westbahnhof:
50 min mit der WB
Von Linz/Donau Hauptbahnhof:
45 – 60 Minuten mit dem RJ/RJX oder der WB
Von Salzburg Hauptbahnhof:
2 – 2,5 Stunden mit dem RJ/RJX oder der WB
Um 10 Uhr morgens stehe ich auf dem St. Pöltner Bahnhofsplatz. Hinter mir der denkmalgeschützte Bahnhof, und direkt vor meiner Nase die Kremser Gasse, eine freundliche Fußgängerzone. Schon in der Römerzeit verlief hier eine wichtige Verkehrsverbindung. Den Aufstieg zur bedeutenden Industriestadt verdankt St. Pölten aber der Eisenbahn. Erst in den 1970er-Jahren, als der Individualverkehr zur „Heiligen Kuh“ erkoren wurde, war die Bezeichnung „Eisenbahnerstadt“ plötzlich kein Ehrentitel mehr, sondern schmeckte nach Rückständigkeit. Doch dieser Irrtum wird gerade korrigiert. Wie zeitgemäß Bahnfahren heute sein kann, beweist die viergleisige Hochgeschwindigkeitsstrecke der Neuen Westbahn.
Bereits nach wenigen Schritten fällt mir in der Kremser Gasse ein außergewöhnliches Jugendstil-Gebäude auf. Es wurde von Joseph Maria Olbrich geplant, einem der berühmtesten Architekten der Wiener Secession.
Wenig später erblicke ich das erste Barockjuwel auf meinem Altstadtbummel: die Löwenapotheke, die bereits seit 1545 besteht. Die Fassade des ältesten Geschäfts von St. Pölten wurde in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts von Josef Munggenast umgestaltet. So wie diesem Bauwerk, erging es vielen Häusern hier: die Schichten früherer Stilepochen wurden nahezu ausnahmslos barockisiert.
Obwohl im Zweiten Weltkrieg 40 Prozent der Bausubstanz der Stadt durch Bomben zerstört wurden, sind erstaunlich viele Häuser aus der Zeit des Hochbarock erhalten geblieben. Ein Paradebeispiel dafür ist der Riemerplatz, an dem sich historische Verkehrswege kreuzen. Das erste Haus am Platz bestand ursprünglich aus vier Gebäuden. Die restaurierte Fassade stammt wiederum von Josef Munggenast, der vor allem durch die Barockisierung zahlreicher niederösterreichischer Klosterbauten große Bekanntheit erlangte.
In der Linzer Straße komme ich am ehemaligen Institut der “Englischen Fräulein” vorbei. Für Architekturkenner zählt die prächtige Fassade mit den üppigen Plastiken zu den absoluten Höhepunkten des Barock in Niederösterreich.
Über die Prandtauerstraße erreiche ich den Rathausplatz. Er wurde Mitte der 1990er-Jahre neugestaltet und wirkt aufgeräumt und offen, was auch daran liegt, dass er nicht von parkenden Autos verstellt wird. Der Rathausplatz gehört den Fußgängern und den vielen Schanigärten an seinen Rändern. In seiner heutigen Form existiert er seit dem 13. Jahrhundert, doch wie archäologische Funde beweisen, wurde er bereits zur Römerzeit genutzt.
Nach einem köstlichen Mittagessen am Herrenplatz gehe ich zum Dom und dann weiter zum Kardinal-König-Platz, wo hoch oben auf einem Podest ein Passauer Wolf sitzt. Er ist das Wappentier von St. Pölten und verweist auf einen früheren Besitz des Bistums Passau. Ich spaziere die Wiener Straße entlang bis zur Brücke über die Traisen. Parallel zum Fluss zieht sich das Landhausviertel hin. 1986 wurde St. Pölten im niederösterreichischen Landtag zur neuen Hauptstadt erklärt. Sein Sitz verblieb jedoch noch bis Mitte der 1990er-Jahre in der Wiener Innenstadt. Bis zur Eröffnung des neuen Landhausviertels im November 1996 wurden Unmengen Erde bewegt, sowie Tausende Tonnen Stahl und Beton. Im Mai 1997 tagte der niederösterreichische Landtag erstmals im neuen Landtagssitzungssaal, der aussieht wie ein spitz zusammenlaufendes Schiff, das am Traisenufer vor Anker liegt.
Im Zentrum des neuen Viertels ragt der Klangturm empor, das Wahrzeichen des „neuen“ St. Pölten. Mit knapp 77 Metern ist er nur unwesentlich niedriger wie die Spitze des St. Pöltner Doms, die zweite weithin sichtbare Landmarke der Stadt.
Mein Weg führt nun in den Kulturbezirk, der aus Festspielhaus, Landesmuseum, Landesbibliothek und Landesarchiv besteht. Im 2002 fertig gestellten Museum Niederösterreich mit seinem auffälligen wellenförmigen Vordach befinden sich heute das Haus der Geschichte und das Haus für Natur, in dem in Aquarien und Terrarien verschiedene Tierarten leben. Zahlreiche größere Vertreter der heimischen Tierwelt wie Bär, Luchs oder Wolf sind in präparierter Form zu sehen. Auf verschlungenen Wegen kämpfe ich mich durch mehrere Etagen dieses Hauses, das ich mit dem Vorsatz verlasse, bald wiederzukommen, um mich noch ausführlicher mit dem reichen kulturellen Erbe unseres Landes zu beschäftigen.
Auf dem Rückweg zum Bahnhof wartet noch ein weiteres architektonisches Highlight auf mich: die ehemalige Synagoge, ein stattlicher Jugendstilbau aus dem Jahr 1913.
Mehrmals pro Stunde fahren Züge von St. Pölten zurück nach Wien. Manche steuern den Wiener Westbahnhof an, alle anderen fahren zum Hauptbahnhof. Mir ist beides recht, ich nehme einfach den nächsten Zug.
Dieser Text ist eine vom Autor gekürzte Fassung von Kapitel 8 seines Buches Österreich mit dem Klimaticket entdecken – 20 Ausflüge mit Bus und Bahn